Anfang Oktober beschlossen wir spontan, noch eine Auszeit zu nehmen und vor dem tristen Wetter zu fliehen. Gedacht, getan, am 13. Oktober starteten wir bei sieben Grad und Patschewetter dann zu unserer Rundtour Richtung Bretagne. Bretagne? Ist das nicht mehr was für Studienrat-Ehepaare? Und immer proppevoll mit Touristen? Mit der Hoffnung, dass im Oktober nicht mehr viele auf so eine Reise-Idee kämen, ging es dann los.
Die erste Nacht wollten wir in der Umgebung von Aachen bleiben, aber das Wetter war uns einfach zu unangenehm – Regen bei drei Grad. Nach kurzer Überlegung entschieden wir uns fürs Weiterfahren und düsten schließlich durch bis Arromanches-les-Bains in der Normandie. Als wir dort ankamen, war es zwar schon drei Uhr morgens, wir fanden aber zum Glück einen akzeptablen Stellplatz in der Stadt.
Der nächste Morgen war trocken. Gut gelaunt machten wir uns auf die Suche nach einem frischen Baguette. Wir folgten einfach der Küste, ließen uns Zeit und kurvten durch viele kleine Orte. Unser erstes Ziel sollte eigentlich die Gegend um den Mont St. Michel sein. Irgendwie hatten wir gehofft, dass man außerhalb der Saison noch bis an den früheren Parkplatz auf dem Damm hinausfahren könnte, aber da gab es keine Chance. Alles ist weiträumig abgesperrt und man kann ein Bus-Shuttle nutzen – trotz Nachsaison ziemlich voll und massentouristisch ausgeschlachtet. Das ist nix für uns und ruft sofort den Fluchtinstinkt wach. Zugegeben, wir hätten es uns natürlich irgendwie auch denken können… Also am Straßenrand halten, das Tele raus, ein paar Fotos abseits der ominpräsenten Menschengruppen und weiter gefahren. Uns konnten die kleineren Hafenstädtchen mehr erfreuen als die größeren Städte. Irgendwie geht der Beat in den kleinen Orten einfach anders, so ohne jede Hektik. Schlicht entspannend und nett.
Am dritten Reisetag wurden wir gegen Abend von entgegenkommenden Fahrzeugen via Lichthupe aufmerksam gemacht. Geschwindigkeitskontrolle? Irrtum. Ein kleines Stückchen weiter trafen wir auf zwei Gendarmen, die uns für eine Verkehrskontrolle stoppten. Die beiden waren ausgesprochen nett und der ältere der beiden sprach auch ein wenig Englisch. Einen Pickup mit Wohnkabine hatten die beiden wohl noch nicht so oft geprüft und scheinbar war auch einfach ein wenig Neugier im Spiel. Zuerst kamen die Formalien wie Führerschein, Fahrzeugschein und Versicherungskarte, danach war dann alles weitere wohl eher persönliches Interesse. Wir stiegen also aus und öffneten auf Bitten die Kabine. Der jüngere Gendarm schaute ein wenig ungläubig und schien von dieser Art des Reisens wenig begeistert, der Ältere hatte jede Menge Fragen. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich die beiden nicht gefragt habe, ob wir ein gemeinsames Foto machen können – an eine so nette Kontrolle erinnert man sich ja eher gern zurück.
Ohne jeglichen Zeitdruck machten wir uns so ganz grob auf den Weg Richtung Westen, Richtung Pointe du Raz. Dort waren wir vor ca. dreißig Jahren schon mal, damals war das noch ein eher gemütlicher Platz an der Küste. Bei unserer Ankunft mussten wir (beinahe erwartungsgemäß) feststellen, dass man heute schon Kilometer vorher an einem selbst zu dieser Jahreszeit ziemlich vollen Touristenfallen-Giftshop-Parkplatz landet. Nachdem wir eine Weile herum gelaufen sind und einen mäßig guten Crepe verschlungen hatten, haben wir uns wieder auf den Weg gemacht. Das Reizvolle an der Küstenstrecke ist, dass die Steilküste sehr oft von netten Buchten mit kleinen Sandstränden unterbrochen ist. Im Oktober ist es abseits der bekannteren Orte meist menschenleer. An den Stränden sind bei Ebbe oft Ortsansässige mit Forken, Eimern und Schaufeln anzutreffen – sie suchen Muscheln, die dort in der Region eine Delikatesse sind. Ein Angelschein o.ä. ist dafür in der Bretagne übrigens nicht notwendig, lediglich Mindestmaße, Schutzzonen und generell Naturschutzaspekte müssen natürlich beachtet werden.
In dem kleinen Städtchen Pont-Aven trödelten wir über den Wochenmarkt. Der fangfrische Fisch wurde auf Eis angeboten, Hummer und anders Krustentiere konnten in Weidenkörben begutachtet werden. Buntes Treiben, viel Lokalkolorit und zur Stärkung natürlich wieder ein Crepe – diesmal aber ein sehr leckerer…
Hinter Pont-Aven verließen wir die Küste und folgten ein Stück weit dem verzweigten Flusslauf des Belon. In einer ruhigen und flachen Bucht entdeckten wir einige Austernbänke, die es hier in großer Zahl gibt. Die Belon-Auster gilt nicht nur hier als besonders delikate Vertreterin ihrer Art.
Unserem Plan folgend fuhren wir grob in Richtung Lorient weiter, wo wir sozusagen am Weg einen Stopp an der Abbaye Saint Maurice einlegten. Das Gelände der Abtei-Ruine wird heute als Museum geführt, ist sehr gepflegt und es ist unschwer erkennbar, dass die Äbte sich früher durch Selbstversorgung ernährten. Ich fühlte mich wie in eine andere Zeit zurück versetzt und genoss unseren Rundgang sehr. Am frühen Abend fuhren wir weiter in Richtung Carnac. Die Menhire (Hinkelsteine) wollten wir uns unbedingt ansehen. Langsam schien uns eine feiste Regenfront einzuholen, so dass wir uns die zahllosen, stehenden Steine letztlich bei allerfeinstem Nieselregen anschauten.
Das unangenehme Wetter trieb uns weiter in die Gegend der Salzsümpfe von Guérande. Bei Ankunft am frühen Abend hatten wir – klar – leichten Nieselregen und es war total bewölkt. Schade eigentlich, aber am nächsten Morgen hatten wir dann schönsten Sonnenschein und leichten Wind. Geradezu ideal, um dort herum zu laufen. Ich fand es echt spannend, dass die Salzpfannen so unterschiedlich sind. Manche waren richtig ausgetrocknet, bei machen konnte man sehen, dass die Salzernte noch nicht so lang her war. Wieder andere standen noch ein wenig unter Wasser und auf einigen hatte sich sogar schon Entenflott gebildet. Einfach eine tolle, skurrile Kulturlandschaft. Am Abend schauten wir uns die grobe Wetterlage ein wenig genauer an und sahen, dass die Regenfront uns am Folgetag endgültig und mit ziemlicher Wucht erreichen würde. Darauf hatten wir natürlich wenig Lust und entschieden ad hoc, uns auf den Weg in die Provence zu machen, wo es nach besserem Wetter aussah. Überaus hilfreich war für uns übrigens die App „MeteoEarth“, die es für Android und iPhone gibt.
Nach einem Fahrtag erreichten wir die Ardeche und campten direkt am Fluss. Morgens war es hier total nebelig, so dass das Ufer nur schemenhaft erkennbar war – einfach irre. Es dauerte eine gute Stunde und der Nebel verzog sich. Etwas später machten wir uns wieder auf den Weg und genossen die Fahrt durch die Schlucht der Ardeche. Langsam arbeiteten wir uns zu den Stromschnellen „Cascades du Sautades“ vor. Eine richtig coole Gegend und zu dieser Jahreszeit angenehm leer. Nach einer Strecke mit diversen Serpentinen näherten wir uns einer riesigen Oliven-, Obst- und Weinbau-Region, die Ernte bzw. Lese war aber natürlich längst vorbei. Von der Gegend wollten wir mehr sehen und nutzten den nächsten Tag für eine Rundfahrt durch verblühte Lavendelfelder, Oliven- und Apfelplantagen. Beim Anblick der Lavendelfelder versuchte ich mir vorzustellen, wie es sein mag, wenn die ganzen Felder blühen. Es muß ein irrer Duft und eine wahnsinnige Lila-Pracht sein.
Anschließend ging es ab in die Berge, genauer gesagt Richtung Gorge de Verdon mit traumhaften Schlucht-Panoramen, die fast etwas an den Grand Canyon erinnern. Es gab hier gerade im nördlichen Bereich viele kleine Schotterstrecken durch die Berge, denen wir sehr gern folgten. Erst kurz vor Grenoble suchten wir uns einen passenden Platz zum Übernachten. Nach einem guten Frühstück starteten wir über kleine kurvige Bergstraßen in die Westalpen. An unserer Strecke lagen viele Wälder mit den unterschiedlichsten Laubbäumen, die nun herrlich herbstlich und farbintensiv leuchteten – ein rundherum perfekter „Indian Summer-Tag“. Der höchste Pass des Tages war der Col de la Madeleine mit 1993müNN.
In den Hauptstraßen der größeren französischen Wintersportorte wie Chamonix und Cluses hing bereits jetzt, zwei Monate vor Heiligabend, die Weihnachtsbeleuchtung und um ehrlich zu sein, waren uns diese ziemlich großen, von Wintersport-Spaßindustrie geprägten Orte gar nicht so sehr sympathisch. Die französische Alpenregion verließen wir auf kleineren Nebenstrecken und umfuhren so den Mont-Blanc-Tunnel. Nachdem wir die Grenze zur Schweiz passiert hatten, suchten wir uns eine Route zum Grimselpass. Bei Ankunft auf der Passhöhe war es recht windig und bewölkt. Die angegebenen 9° C fühlten sich deutlich kühler an und luden nicht gerade zum Verweilen ein. Das Grimselhotel und -Restaurant hatte bereits für den Winter geschlossen und außer uns waren nur wenige Fahrzeuge unterwegs. Von hier aus ging es talwärts und wir blieben im schönen Meinringen. Am folgenden Morgen wurden wir von strahlendem Sonnenschein geweckt, einfach klasse.
Nach dem Zusammenpacken entschieden wir spontan, einen Abstecher in den Ort Engelberg zu unternehmen, wo Michael als ganz kleiner Buttscher mal gewesen ist. Wir schauten uns den inzwischen mit Hotels geradezu gepflasterten Ort ein wenig an, futterten ein Würstchen im Schlafrock und prüften fast aus Gewohnheit den Wetterbericht. Leider ließ der nichts Gutes ahnen, denn die große Regenfront war fast bei uns angekommen. Da half jetzt mal nichts und wir mußten uns entscheiden. Klar war, dass wir bei stärkerem Regen an Unternehmungen keinen großen Spaß finden würden und Stuben- bzw. Kabinenhocken ist auch nicht unser Favorit. Es blieb also nur die erneute Flucht vor dem Regen. Laut Wetterkarte sollte das Wetter in Österreich – oder besser gesagt in Tirol – besser sein. Nach kurzer Diskussion haben wir uns für die Weiterfahrt entschieden und sind direkt durchgestartet.
Nach Ankunft auf 1200müNN in Seefeld war es zwar frisch, aber trocken. Nachts erwischte uns dann doch wieder der Regen, der vormittags in leichten Nieselregen überging. Nach dem Frühstück machten wir uns langsam auf die Heimreise, einen Tag früher als geplant. Wir kurvten weiter durch die Berge und hielten für eine letzte Übernachtung in Berg bei Neumarkt in der Oberpfalz. Von hier aus waren es noch 615 km bis nach Hause. Und schwupp war der Urlaub vorbei und ich kann im Augenblick nur schon wieder vom nächsten träumen.
Fazit: Im Oktober kann man Bretagne und Provence auch dann ganz entspannt genießen, wenn man ansonsten vor den Touristen-Massen eher wegläuft. Nur an ganz wenigen „Top Hotspots“ ist dann noch ein wenig mehr los – verglichen mit der Saison ist das aber wahrscheinlich auch schon „leer“. Offroad-Spaß gibt es zwar eher wenig, aber die Landschaften sind einfach schön und eine Reise wert. Die wenigen Campingplätze, die zu dieser Jahreszeit überhaupt noch geöffnet haben, hat man meistens fast für sich und über „wilde“ Standplätze regt sich im Oktober niemand mehr auf.
Zuletzt geändert: 13.02.2024